Die Geschichte

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Havarie vor Halycon

„Die Nesaja sitzt fest? Unser Forschungsschiff? Unmöglich!“ Das Echo dieser Worte hallte noch wider im Ratssaal. Hier hatte sich die Hanse der Inselstädte des Sees Lupusmaniero versammelt. Eigentlich ging es darum, wie die wachsenden Kosten für den Ausbau der Schifffahrtsrouten angemessen auf die verschiedenen Länder verteilt werden sollten. Dies war dringend nötig, da schon jetzt der Verkehr zwischen den Inseln über die schmalen Fahrrinnen kaum zu bewältigen war. „Außerdem brauchen wir diese Routen,“ hieß es an einem Ende des Tisches, „da der Handel sich überhaupt nur noch rentiert, wenn man Schiffe mit mehr Tiefgang und Laderaum einsetzt.“ – „Wieso sollen wir dann für eure Schiffe zahlen?“ kam es vom anderen zurück. Die Beratungen drehten sich also gerade im Kreis, als der Bote mit der Nachricht in den Saal gestürmt kam. „Kein Zweifel!“ setzte er nach, „sie haben uns mit einem Spiegel ihre Havarie signalisiert. Sie sind vor der Insel Halycon aufgelaufen, aber es geht ihnen gut.“

„Aber das ist eine gut befahrene Route, nur ein kompletter Narr könnte da ein Schiff auf den Grund setzen,“ meinte eine Ratsfrau. „Vielleicht hat sich ja der Seegrund geändert und dort sind jetzt Untiefen,“ gab ein Ratsherr zu bedenken. „Vielleicht ist doch etwas dran an dem Gerücht, dass der See schrumpft,“ meinte jemand anderes. Sofort brach der Tumult los. Diese alte Geschichte tauchte immer wieder auf, meist wenn eines der Ratsmitglieder diese oder jene Seeroute nicht bezahlen wollte, manchmal aber auch, weil einer am Tisch wirklich besorgt war über den Zustand des Lupusmaniero.

Bisher wurde diese wirre Meinung jedoch meist mit ein paar entschlossenen Worten über die Notwendigkeit des Handels zum Schweigen gebracht. Schon früh hatte sich jede Stadt auf das spezialisiert, was sie am besten konnte: die eine Stadt konzentrierte sich auf Handwerke aller Art, eine andere war die Heimat von Entdeckern, eine weitere die der Gelehrten, und die andere bewahrte das Wissen in ihren Bibliotheken, Wolle und Stoffe fand sich hier, Getreide, Früchte und andere Nahrung dort, sogar für das Kochen, die Entspannung und die Unterhaltung mit Musik oder Theater gab es jeweils eine Stadt. Sie alle verband der Handel und der Tausch – das „Große Rad der Inselstädte“, das sich beständig drehte: Denn alles was die eine Stadt nicht hatte, bekam sie aus den anderen Städten schneller und günstiger, als wenn sie selbst versucht hätte, es herzustellen. Die Hanse hielt dieses Rad am Laufen. So war es seit Generation gewesen und zwar zum Besten aller. So schien es.

Aber bisher war die Nesaja auch noch nie auf eine Sandbank fast in der Mitte des Sees getroffen. Also ließ man aus der alten Bibliothek die Aufzeichnungen früherer Reisen der Nesaja, alle Berichte und Karten über den Lupusmaniero und sein Umland zusammentragen, um diesen Streit ein für alle mal beizulegen.

Je länger jedoch die Frauen und Männer des Rates über der Geschichte der Hundert Inseln brüteten, Tage und Wochen, desto mehr schwanden ihre Zweifel. Schon in frühester Zeit waren Siedler den großen Flüssen aus dem Gebirge gefolgt und hatten sich an den Ufern des Lupusmaniero niedergelassen. Von dort lenkten sie ihre Boote an Klippen und Untiefen vorbei zu den Inseln im See und gründeten dort Städte. Bald entstand reger Handel zwischen den Bewohnern der Inseln. Die einzelnen Städte versuchten sich dabei gegenseitig zu übertreffen – das „Große Rad“ begann sich zu drehen und nahm an Schwung zu. Immer mehr Schiffe befuhren den Lupusmaniero, immer mehr Brücken verbanden die Inseln miteinander. Die Fahrrinnen wurden ständig für neue und größere Lastkähne der Hanse durch Baggerflöße verbreitert und vertieft. Das Holz für all dies kam über viele Generationen aus dem Gebirge. Alte Karten zeigten dort noch dichte Wälder. Mit jeder neuen Karte allerdings schmolz das Grün etwas mehr, bis sie schließlich das Gebirge zeigten, wie es den Bewohnern der Städte am Lupusmaniero wohlbekannt war: Die nahen Bergkuppen waren nun seit Generation nur noch von Gras und Büschen bewachsen. Zudem spülten die Regenschauer im Frühjahr und Herbst Erde von den Hängen und ließ diese noch kahler zurück.

Die Gebirgsflüsse wiederum jagten in beiden Jahreszeiten immer schneller durch den Lupusmaniero ins Meer und ließen seinen Pegel seither allmählich sinken. Noch zu den Zeiten ihrer Großeltern konnte man mit einem kleinen Satz direkt von den Kai-Mauern in den See hopsen, erinnerten sich die Ratsleute. Heute war das schon eher ein Sprung von einem dreistöckigen Turm. 

Zugleich wurde es für die Städte auch schwieriger, ihr Trinkwasser direkt aus dem See zu schöpfen. Kein Wunder also, dass jede Stadt stets neue und tiefere Brunnen anlegte, um noch an sauberes Wasser zu gelangen. Die blauen Punkte auf den Karten der Reiche schienen sich mit jedem Jahr zu verdoppeln.

„Wir können das Rad sich nicht mehr weiterdrehen lassen wie bisher,“ beschloss der Rat der Hanse des Lupusmaniero, „sonst wird unser See in nur wenigen Generationen eine tote Pfütze. Lasst uns versuchen, nicht weitere Fehler zu machen und den Lupusmaniero zu erhalten.“ Darauf verfasste der Rat ein Schreiben an alle Bewohner der Inselstädte: